Experiment Bürgerbeteiligung

Alexander Göbel, Deutschlandfunk, 07.08.2021

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Die Europäische Union will näher an ihre Bürgerinnen und Bürger heran. Die „Konferenz zur Zukunft Europas" soll das leisten. Wenn alles gut läuft, könnte das Symposium ein Meilenstein in der Geschichte der EU werden. Doch das Experiment könnte auch scheitern.

Straßburg, 9. Mai, 2021: Europatag. Mit einem Festakt, reichlich Pathos und Symbolik beginnt die Konferenz zur Zukunft Europas. Coronabedingt sind Dutzende Bürgerinnen und Bürger auf riesigen Leinwänden im Europaparlament zugeschaltet. Auf einem Podium: der Hausherr, Parlamentspräsident David Sassoli, Portugals Premierminister Antonio Costa für die damals amtierende Ratspräsidentschaft, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – und der französische Präsident Emmanuel Macron. Als maßgeblicher Initiator der Konferenz darf er den Ton setzen – mit einem Blick auf den alles dominierenden Kampf gegen die Pandemie. [...]

Janis Emmanouilidis vom European Policy Center in Brüssel hält es für einen Fehler, dass die Konferenz praktisch alles diskutiert. Er befürchtet, dass am Ende ein halbgares Potpourri herauskommt. Idealerweise müssten aus Ideen auch Handlungsempfehlungen werden. Nur dann, sagt der Politikberater, könnten auch Reformen aus diesem Projekt folgen.


„Und die Gefahr besteht, dass das, was diskutiert wurde von den Bürgern, dass sich das überhaupt nicht weiter im Prozess fortführt, und sich dann auch nicht widerspiegelt im finalen Ergebnis – oder das finale Ergebnis beinhaltet, sagen wir, 350 Vorschläge, aber hat keine kohärente Struktur, kein Narrativ, keinen großen Gedanken, den man auch vermitteln kann, sondern man verliert sich im Detail. Auch das wäre kein gutes Ergebnis. Oder: Wir haben ein Ergebnis im Frühjahr nächsten Jahres, dann spiegelt sich das wider in Äußerungen des Europäischen Rates, in den Schlussfolgerungen oder die Kommission wird sich darauf beziehen, aber danach passiert nicht sehr viel – dann wäre das auch ein Problem!" [...]

Vielen Mitgliedsstaaten gehen derartige Pläne jedoch zu weit. Deutschland scheint für Vertragsänderungen offen, die meisten Staaten sind es nicht. Gleich zwölf Mitgliedsländer, darunter Dänemark, Schweden, die Niederlande, aber auch die Slowakei, Litauen und Tschechien, haben schon vor Beginn der Konferenz abgewunken. Janis Emmanouilidis, Direktor des European Policy Center:

„Das ist eine der Fragen, die seit vielen Jahren und vor allem nach dem gescheiterten Versuch der europäischen Verfassung mit dem doppelten Nein in Frankreich und den Niederlanden auf der Agenda stehen. Man weiß gleichzeitig, man braucht nicht nur die Einstimmigkeit unter den Regierenden, sondern man muss es dann auch in den einzelnen Mitgliedstaaten auch ratifizieren, wenn es um Vertragsänderungen geht. Und wir haben gesehen, wie schwierig das ist. Und wir wissen in vielen Fällen, es bedarf dann auch eines Referendums in vielen Mitgliedstaaten und dass die Chance, dass man da wieder ein Nein erlebt wie 2005, dass die relativ groß sein kann. Die handelnden Akteure, die argumentieren, wir sind für Vertragsänderungen, weil sie wissen, dass der Druck gegen Vertragsänderungen so hoch ist, dass es nicht dazu kommen wird. Und da ist es dann auch relativ einfach zu sagen, ‚Wir sind dafür bereit'. Weil man weiß, es gibt viele, die das torpedieren oder ein Veto dagegen aussprechen werden!"

Die Mechanismen der Macht, aber auch die vielen unterschiedlichen Interessen könnten im Zusammenspiel tragische, wenn nicht absurde Folgen für die Zukunftskonferenz haben, warnt Emmanouilidis. Natürlich seien die Verhinderer von Reformen immer das Problem – aber unter Umständen auch die Reformbereiten.
„Gewisse Regierungen werden sich das nicht aus der Hand nehmen lassen: Sie sagen: ‚Wir als Regierungen sind die Herren der Verträge, wir haben zu bestimmen, wie die strategischen Leitlinien aussehen müssen auf europäischer Ebene. Der Europäische Rat hat diese Funktion und wir lassen uns das nicht aus der Hand nehmen und deshalb werden wir alles dafür tun, dass die Zukunftskonferenz nicht erfolgreich maßgeblich dazu führt, dass wir die EU reformieren.' Andere argumentieren: ‚Nein, wir wollen die EU reformieren, die EU muss anders aussehen in der Zukunft, aber Vorsicht, wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass die Zukunftskonferenz mit der Bürgerbeteiligung unsere zentrale Rolle als der zentrale demokratische Akteur der Europäischen Union, das einzige gewählte europäische Parlament, untergraben wird in seiner Rolle.' Es kann also dazu kommen, dass unterschiedliche Akteure aus unterschiedlicher Motivation heraus in die gleiche Richtung pushen und dazu beitragen, dass die Konferenz nicht so erfolgreich wird, wie sie hätte sein können. Diese unheiligen Allianzen, die gibt es!" [...]

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