„Die EU ist bereit zu helfen“

Tobias Armbrüster, Deutschlandfunk, 21.03.2019

Interview

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Grundsätzlich sei die EU bereit, auf Großbritannien zuzugehen, sagte der Politikwissenschaftler Janis Emmanouilidis im Dlf. Trotzdem könne es auf einen harten Brexit hinauslaufen, wenn bestimmte Bedingungen nicht erfüllt würden. „Wir können nicht in eine Situation geraten, in der wir das System EU untergraben."

Tobias Armbrüster: Das könnten ein paar lange Nächte werden in Brüssel in den kommenden Tagen. Heute beginnt ein regulärer EU-Gipfel und es ist schon von mehreren Teilnehmern zu hören, dass in der kommenden Woche ein weiterer Gipfel folgen könnte. Grund für diese ganze Betriebsamkeit ist natürlich der Brexit. Wie dieser Ausstieg Großbritanniens aussehen soll, das ist nach wie vor ziemlich unklar. Angela Merkel ist inzwischen auf dem Weg nach Brüssel. Heute Morgen hat sie im Bundestag noch einmal erklärt, mit welchen Plänen sie in diese Gespräche nun geht.

Diese Bundestagsdebatte, diese Rede von Angela Merkel, die wird man heute auch in London sehr genau verfolgt haben. Dort wird das Drama um den Brexit immer mehr auch zu einem Drama um die Premierministerin, um Theresa May. Zu erleben war das gestern Abend zum Beispiel auch bei einer Fernsehansprache der Regierungschefin. May macht sich zwar immer noch Hoffnungen darauf, dass sie ihren Ausstiegsvertrag kommende Woche durchs Unterhaus bringen kann. Aber immer häufiger ist in London auch von ihrem baldigen politischen Ende die Rede.

Es sind also spannende Zeiten für Großbritannien und auch für Europa. Wir wollen das besprechen mit Janis Emmanouilidis vom European Policy Centre. Das ist eine Denkfabrik in Brüssel. Schönen guten Tag, Herr Emmanouilidis!

Janis Emmanouilidis: Guten Tag, Herr Armbrüster.

„Unfähigkeit im britischen System"

Armbrüster: Wir sind jetzt neun Tage vor dem Brexit und in London wird irgendwie immer noch diskutiert, als gäbe es kein Morgen. Ist das britische Gelassenheit?

Emmanouilidis: Nein, das ist die Unfähigkeit im britischen System, jetzt zu einem Votum, zu einer abschließenden Meinung zu kommen, wie man mit der Situation umgehen will. Es ist die Unfähigkeit, eine Mehrheit in Westminster zu finden. Es ist die Unfähigkeit, innerhalb der Parteien eine gemeinsame Position zu finden, die man dann auch im Parlament vertritt. Es ist das Ergebnis einer gespaltenen Nation und es ist das Ergebnis eines gespaltenen Systems, wo tatsächlich die Frage sich stellt, inwieweit die britische Demokratie tatsächlich am Rande dessen operiert, zu was sie fähig ist.

Armbrüster: Das heißt, Sie sehen da wirklich eine Krise des politischen Systems in Großbritannien?

Emmanouilidis: Ich glaube, wir haben eine tiefergehende Krise, die sich jetzt in der Realität wiederspiegelt. Die Situation ist eher auch noch verschärft worden durch die gestrigen Äußerungen von Theresa May, wo sie sich eindeutig gegen Westminster gestellt hat, Westminster den schwarzen Peter Schuh zugeschoben hat oder versucht hat, ihn Westminster zuzuschieben. Das hat die Fronten noch mal verhärtet, hat die Situation noch mal erschwert, und wir werden sehen, wie sich das jetzt auswirkt, auch in den nächsten Tagen, in der nächsten Woche.

„Es wäre zu einfach zu sagen, Theresa May ist schuld"

Armbrüster: Da kann man sich jetzt ja leicht fragen, wenn man so eine Regierungschefin sieht, die möglicherweise da etwas hilflos, unbeholfen agiert, die möglicherweise auch einige Fehler gemacht hat in den vergangenen Wochen und Monaten. Wenn das so ist, warum finden sich dann nicht im Unterhaus, im britischen Parlament Abgeordnete zusammen, die einfach neue Bündnisse schließen und die sagen, wenn die Regierungschefin es nicht hinkriegt, dann müssen wir einen anderen Weg probieren? Denn Frau May ist da ja nicht völlig allein!

Emmanouilidis: Zum einen wäre es zu einfach zu sagen, Theresa May ist schuld. Natürlich hat sie Fehler begangen. Sie hat Fehler übrigens nicht nur über die letzten Wochen und Monate, sondern sie hat Fehler im Gesamtprozess getätigt. Sie hat Westminster nicht ausreichend eingebunden. Sie hat im Grunde genommen den Moment, an dem wir jetzt stehen, nicht vorgeahnt, und man hätte es vorahnen können und sich entsprechend darauf vorbereitet. Aber es wäre wie gesagt zu einfach, nur ihr die Schuld zuzuschieben.

Im System, im politischen System, in der öffentlichen Meinung haben wir eine Situation, in der es eine tiefe Spaltung gibt in den einzelnen Parteien. Viele denken auch vornehmlich erst mal an ihre persönliche Zukunft, an die Zukunft ihrer Partei und nicht vornehmlich an die Zukunft des Landes. Das erschwert es, Kompromisse zu finden, Kompromisse in einer sehr schwierigen Frage, und egal wie man sich jetzt verständigen wird, egal welche Mehrheit man hätte in Westminster, wäre das Ergebnis kein positives. Das macht es nur noch schwieriger, eine Mehrheit zu finden, und das erklärt dann auch, warum es so schwierig ist, jetzt hier ein neues Bündnis zu finden, eine neue Koalition zu finden, die einen Ausweg aufzeigen könnte.

Denn mit denjenigen, die operieren, die so gespalten sind, ist es sehr schwierig, überhaupt neue Konstellationen anzudenken, und das ist auch letztlich der Grund, warum sich Theresa May bisher im Amt halten konnte über die letzten Monate, Jahre, und ihr politisches Ende wurde ja schon oftmals prognostiziert. Aber keiner will auch das übernehmen, was sie jetzt hier vollbringen soll. Die Schuld liegt bei ihr, aber auch am System.

Harte EU-Position könnte zum Durchbruch führen

Armbrüster: Jetzt haben die Abgeordneten allerdings dieses klare Warnsignal deutlich vor Augen. Das ist in Sichtweise. Der harte Brexit würde kommen in etwas mehr als einer Woche, wenn nichts geschieht. Reicht das als Warnung nicht aus, oder als Ansporn dafür, doch noch etwas zu unternehmen?

Emmanouilidis: Bisher haben wir gesehen – und der Moment des 29. März kam ja auch in den letzten Tagen, in den letzten Wochen immer näher –, dass es bisher noch nicht ausgereicht hat. Jetzt stellt sich die Frage, wenn Theresa May heute mit ihren Kollegen auf europäischer Ebene diskutiert und man hier noch mal zum Ausdruck bringt, wir können euch nur dann eine Verlängerung geben, wenn es ein positives Votum zum Austrittsabkommen gibt, dann können wir euch mehr technische Zeit gewähren; falls nicht, dann lauft ihr tatsächlich Gefahr, in einen chaotischen harten Brexit zu kommen, dass dieser Moment, dass diese harte Position auch von Seiten der EU tatsächlich mehr Druck dann im Vereinigten Königreich generiert.

Aber die Frage ist, wird der Druck ausreichend sein, um nächste Woche eine Mehrheit zu finden oder nicht. Falls dem nicht so ist, wie sie dann nächste Woche wieder zurückkommen wird und sagen wird, ich brauche jetzt aber mehr Zeit und habe folgendes getan oder nicht getan. Das wird heute nicht geklärt werden können.

„Die EU27 wollen Großbritannien helfen"

Armbrüster: Gut! – Dann lassen Sie uns trotzdem auf die Position der Europäischen Union schauen. Die EU – Sie haben das gesagt – setzt ja Großbritannien in dieser Frage massiv unter Druck, hat da einen ganz großen Hebel in der Hand. Sie könnte den Briten zum jetzigen Zeitpunkt einen harten Brexit quasi aufzwingen. Ist so eine Position der Macht, ist so ein immenser Einfluss, ist das Neuland für die Staats- und Regierungschefs?

Emmanouilidis: Nein, das ist nicht Neuland. Wir hatten auch in der Vergangenheit schon Situationen, wo es eine Situation gab, wo einer gegen den Rest stand und letztlich der eine einsehen musste, dass, wenn er jetzt nicht entsprechend handelt, er Gefahr läuft, dass seine Drohungen am Ende verpuffen. Das ist keine neue Situation.

Aber ich glaube, dass man sehr wohl auf Seiten der Staats- und Regierungschefs der EU27, also aller außer Großbritannien, zeigen will, dass man bereit ist zu helfen, dass man bereit ist zu unterstützen, aber in einem gewissen Maß und unter gewissen Bedingungen. Auch wenn wir bereit sind, etwas mehr Zeit zu gewähren, kann das nicht bedeuten, dass wir beispielsweise in eine schwierige Situation kommen, weil wir die Europawahlen Ende Mai haben und Großbritannien nicht teilnimmt, und was das bedeutet für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, der nächsten Kommission, da gibt es sehr viele legale und politische Probleme, die das generieren würde. Das wird man vermeiden wollen.

Aber ich glaube, dass man auch noch – wir reden jetzt nicht von heute, sondern von nächster Woche, Ende nächster Woche, wenn wir dem Termin noch nähergekommen sind, dem Austrittstermin –, dass wir da auch noch mal uns überlegen werden, inwieweit wir noch etwas mehr Zeit gewähren würden, auch um unserer eigenen Bevölkerung zu zeigen, wir haben versucht, konstruktiv zu sein, wir haben versucht, etwas mehr Zeit zu geben, ohne unsere eigenen roten Linien treffend zu untergraben, aber wir werden das nicht tun, wenn wir unsere eigenen Interessen nicht wahren können.

Ich glaube, diese Signale und dieses Spiel wird man spielen, letztlich auch, um die eigene Glaubwürdigkeit für den Moment danach, was auch immer dann passiert, wenn es ein harter Brexit ist, oder wenn es die Verhandlungen danach sind, um die eigene Glaubwürdigkeit zu erhalten.

„EU muss eigenen Worten treu bleiben"

Armbrüster: Wie schätzen Sie das denn ein? Würde die EU den Briten einen solchen harten Brexit tatsächlich aufzwingen, wenn sich die Briten kein bisschen weiterbewegen, wenn die Diskussionen und Debatten in London einfach weitergehen? Hätte die EU dann die Kraft zu sagen, gut, Leute, dann wird es eben ein harter Brexit, bye-bye?

Emmanouilidis: Ich glaube, dass wir letztendlich eventuell vor diese Frage gestellt werden und dass wir letztendlich in unserem eigenen Interesse und auch in dem Bewusstsein, dass wir geholfen haben, soweit wir helfen konnten, tatsächlich diesen Schritt dann tun. Auch wenn es bedeutet, dass es ein harter chaotischer Brexit ist. Das ist keine einfache Entscheidung. Das fällt auch den EU27 nicht einfach. Aber letztlich ist es konsequent.

Man bleibt seinen eigenen Worten treu und man kann auch gegenüber der eigenen Bevölkerung argumentieren, wir haben das Beste versucht, aber gleichzeitig können wir nicht in eine Situation geraten, in der wir uns selbst, das System EU untergraben, weil wir in eine Situation geraten, wo beispielsweise die Europawahlen stattgefunden haben in den 27 Staaten, aber nicht in Großbritannien und das letztlich sehr viele legale, aber auch politische Schwierigkeiten generieren würde auf europäischer Ebene. Das können wir gegenüber unserer eigenen Bevölkerung nicht verantworten und deshalb ist leider diese Option des harten chaotischen Brexit dann die letzte Option, die keiner wollte und auch die EU27 definitiv nicht wollen.

Armbrüster: Live hier bei uns in den „Informationen am Mittag" war das der Politikwissenschaftler Janis Emmanouilidis vom European Policy Centre in Brüssel. Vielen Dank für das Gespräch.

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