Es brennt an allen Ecken und Enden, die EU ist als Krisenfeuerwehr gefragt
Wolfgang Tucek, Wirtschaftsblatt (Austria), 04.01.2016
Quotes
Nicht nur die Flüchtlingskrise auch der Euro, Griechenland, Russland, Syrien, Terror und der Tanz um den Brexit bereiten in Brüssel Sorge. 2016 wird ein heikles Jahr für die EU.
Schon wieder steht die EU an einer entscheidenden Schwelle. Mit dem Schengen-System droht eine der größten Errungenschaften auf Dauer den Bach hinunterzugehen. Mit dem Binnenmarkt könnte auch gleich der wichtigste Wirtschaftsmotor der Union schweren Schaden nehmen. Denn der basiert zu einem guten Teil auf dem freien Güterverkehr in Europa, der eben nicht durch Grenzkontrollen und kilometerlange Staus an den Grenzen behindert wird.
Mehr noch: Es besteht die Gefahr, dass die EU auseinanderfällt, wenn man die Situation nicht unter Kontrolle bekommt, warnt Janis Emmanouilidis, Direktor des Brüsseler Thinktanks European Policy Centre (EPC). Ist eine ähnlich schwierige Situation in der Eurokrise 2012 gerade noch gemeistert worden, so sei die Bedrohung jetzt mit voller Wucht zurückgekehrt. [...]
Die Frage des Umgangs mit dem großen Nachbarn Russland, die geopolitische Krise wegen der Ukraine und der Krim, sei keineswegs gelöst. Schon gar nicht die Syrien-Krise, die eine der Ursprünge des Flüchtlingsstroms und der Terrorbedrohung ist. Und schließlich könnte der britische Premier, David Cameron, schon heuer sein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abhalten, das Gespenst des Brexit geht um.
Das würde ich auf dieser Krisenskala aber nicht auf der gleichen Ebene sehen, so Emmanouilidis. Die Tragweite sei nur dann verheerend, wenn die Briten tatsächlich austreten würden, aber davon gehe ich nicht aus. Gleichwohl haben die Buchmacher des internationalen Wettbüros Ladbrokes die Wahrscheinlichkeit eines Brexit vor Weihnachten mit 40 Prozent beziffert Tendenz steigend: Der Ausgang der Abstimmung ist in England zu knapp für eine klare Prognose, in Schottland ist allerdings eine klare Mehrheit für den Verbleib in der EU, sagt Matthew Shaddick, Abteilungsleiter für politische Wetten bei Ladbrokes. Die Umfragen und Einschätzungen versprechen am Ende ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Doch selbst ohne den Brexit habe die Kumulierung der Krisen einen fatalen Effekt, erläutert Emmanouilidis: Sie führt zu Misstrauen zwischen den Mitgliedstaaten, der Populismus rechts und links wird begünstigt. Diese Spannungen führten dazu, dass nationale Interessen oft in den Vordergrund treten: In Frankreich setze der rechtsextreme Front National unter Marine Le Pen die Regierung von Präsident François Hollande unter Druck. In Ungarn sei die Regierungspartei Fidesz von Premier Viktor Orbán selbst das Problem. Der slowakische Premier, Robert Fico, wiederum versuche, mit strikten Positionen in der Flüchtlingskrise von seiner schwachen innenpolitischen Performance abzulenken.
So könnte man weiter aufzählen, meint der EPC-Direktor. Die oft als rechtsextrem eingestufte, de facto EU-feindliche FPÖ in Österreich erwähnt er nicht mehr. Sie hat die Regierungsparteien nicht erst bei den jüngsten Landtagswahlen unter Druck gesetzt.
Doch wie kann man das Steuer angesichts der Fülle der Krisen herumreißen? Wir müssen uns durchwurschteln und versuchen, die Kontrolle wiederzuerlangen, rät Emmanouilidis. Die Zahl derjenigen, die in die EU kommen, müsse irgendwie reduziert werden. Dabei könne die Hoffnung auf die Hilfe der Türkei nur ein Teil der Lösung sein. Denn ob die türkische Regierung am Ende ein zuverlässiger Partner ist oder ihre Position nicht vielmehr auszuspielen versucht, sei offen.
Entscheidend sei, dass an keiner offenen Baustelle ein grober Unfall passiere, der einen Dominoeffekt auf andere Bereiche in Gang setzt. So seien negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt offensichtlich, sollte das Schengen-System auf Dauer zerbrechen. Doch Mehrheiten für ein Titanic-Szenario, bei dem alles untergeht, gebe es keine, sagt der EU-Experte. Dafür ist die europäische Integration mit ihre Vorzügen zu sehr Teil der kollektiven DNA. Wahrscheinlich sei ein Zerfallen der EU daher nicht. Keine Chance sieht Emmanouilidis aber für den großen Sprung in Richtung einer politischen Union, der von manchen propagiert wird. Die politische Realität sagt uns, dass eine fundamentale Reform der Union aktuell sehr schwierig wäre. Vielmehr müsse die EU wie in den vergangenen Jahren weiter entschlossen als Krisenfeuerwehr agieren. [...]
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