Berlin und Athen: "Verbale Eskalation stoppen"
tagesschau.de, 17.03.2015
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Rau wie nie ist der Ton zwischen Berlin und Athen. Der Politikberater Janis Emmanouilidis fürchtet, dass dies tiefe Narben hinterlässt. Im Interview mit tagesschau.de fordert er beide Seite auf, verbal zu deeskalieren, um nicht noch mehr diplomatisches Porzellan zu zerschlagen.
tagesschau.de: Wie nehmen Sie die öffentliche Kommunikation zwischen Athen und Berlin derzeit wahr?
Janis Emmanouilidis: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland hat sich in den letzten Wochen leider dramatisch verschlechtert. Wir erleben auf beiden Seiten sehr negative Äußerungen über die jeweils andere Seite. Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge - gerade auch vor dem Hintergrund, dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern ja früher ausgesprochen gut war.
tagesschau.de: Welche politischen Signale gehen von dieser Kommunikation aus?
Emmanouilidis: Das aktuelle Verhältnis beider Länder ist politisch belastet. Die Debatten sind negativ geprägt. Es werden Vorurteile gepflegt und nationale Ressentiments geschürt. Dinge, die wir längst glaubten, hinter uns gelassen zu haben, tauchen wieder auf. Das führt zu Verletzungen auf beiden Seiten, die diese ja ohnehin schwierige Situation rund um die Zukunft Griechenlands in der Europäischen Union zusätzlich erschwert.
tagesschau.de: Liegt es daran, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble und sein griechischer Kollege Yanis Varoufakis partout nicht miteinander können?
Emmanouilidis: Finanzminister Schäuble ist hoffentlich erfahren und klug genug, um sich nicht von persönlichen Befindlichkeiten leiten zu lassen. Varoufakis kommt nicht aus der Politik sondern aus der Wissenschaft. Er muss die diplomatischen Gepflogenheiten und die Konventionen der politischen Kommunikation noch lernen.
tagesschau.de: Wie professionell agiert Athen?
Emmanouilidis: Diese junge Regierung ist insgesamt sehr unerfahren. Bis auf eine Ausnahme hat keiner der Politiker Regierungserfahrung. Sie müssen also erst noch lernen, mit politischer Verantwortung umzugehen - und das in einem sehr schwierigen Umfeld und unter einem enormen Druck, der auf dieser Regierung lastet. Druck kommt aus Brüssel und Berlin. Und es gibt einen enormen Erwartungsdruck in der griechischen Bevölkerung. Es liegt aber auch eine Chance in der jetztigen Situation: Denn die Regierung von Alexis Tsipras ist unbelastet. Sie kann sich von dem Unmut der Bevölkerung über die Vorgängerregierung befreien. Sie könnte Dinge tun, die die Vorgängerregierungen nicht umsetzen konnten oder wollten. Doch dafür braucht sie Zeit.
tagesschau.de: Athen hat Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen gestellt. Wie klug war das?
Emmanouilidis: Die Regierung in Athen empfindet - wie viele Regierungen der Vergangenheit - eine moralische Verantwortung, das Thema anzusprechen. Es war aber sehr unglücklich, dass in der aktuellen Situation eine Verbindung hergestellt wurde zwischen den komplexen Fragen der Reparationszahlungen und der Euro-Krise. Diese Themen sollten getrennt voneinander behandelt werden. Grundsätzlich sollte nun für beide Seiten gelten, rhetorisch zu deeskalieren. Wenn man einen Kompromiss finden will zwischen Athen und seinen Partnern, dann muss die verbale Eskalation gestoppt werden. Wir brauchen eine neue Besonnenheit im Umgang. Es steht für alle Seiten viel zu viel auf dem Spiel.
tagesschau.de: Lassen sich diese Misstöne denn noch sportlich abschütteln und prägen sie jetzt alle Verhandlungen?
Emmanouilidis: In Brüssel und Berlin sitzen politische Profis genug, die Abstand nehmen können von verbalen Entgleisungen, um sich auf die wahren Verhandlungsinhalte zu konzentrieren. Alle Seiten wissen, dass man einen Kompromiss finden muss, denn die möglichen ökonomischen und politischen Folgen eines Misserfolgs könnten verheerend sein.
tagesschau.de: Die Töne zwischen Brüssel und Athen sind dagegen moderater. Woran liegt das?
Emmanouilidis: Auch Brüssel ist unzufrieden mit dem, was die Regierung Tsipras bisher vorgelegt hat. In Brüssel ist man aber auch nicht begeistert von dem immensen Druck, den Deutschland öffentlich aufbaut. Man hätte dort lieber leisere Töne. Das sorgt für Unmut gegenüber Athen und Berlin.
tagesschau.de: Kanzlerin Angela Merkel hat ihren Kollegen Alexis Tsipras nach Berlin eingeladen. Werden die Beiden die Situation - das zerschlagene diplomatische - Porzellan wieder kitten können?
Emmanouilidis: Grundsätzlich ist die Einladung äußerst positiv zu bewerten. Es ist gut, dass auf höchster Ebene auch bilateral gesprochen wird - zusätzlich zu dem EU-Gipfel in dieser Woche. Kanzlerin Merkel und Regierungschef Tsipras werden versuchen, einen Kompromiss zu befördern. Ich habe aber die Befürchtung, dass die Kommunikation der vergangenen Wochen im bilateralen Verhältnis tiefe Narben hinterlassen hat, die nicht so schnell heilen - nicht nur in der Politik, sondern vor allem auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Dieses dringend notwendige Treffen zwischen Merkel und Tsipras kann nur ein Anfang sein auf dem Weg, wieder zu einem konstruktiven, respektvollen und freundschaftlichen Miteinander zu finden.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de
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